Ganz im Sinne des letzten Blogeintrags von Lene sitze ich (Tobi) an diesem schönen Sonntag Abend alleine auf der Couch – die Kids sind mit Lene auf einem Kindergeburtstag, auf den wir uns als ganze Familie schon lange gefreut haben. Da ich allerdings irgendeinen Virus habe, dank dem ich die ganze Nacht über der Schüssel hing, konnte ich nicht mit. Wieder was Unvorhergesehenes, das Planung unmöglich macht. Aber hey – man gewöhnt sich dran. Ich bin mir sicher, dass auch die Jünger von Jesus sich an solche unvorhersehbaren Ereignisse gewöhnt haben.
Aber was bedeutet Jüngerschaft?
Vergleicht man die Jünger in den 4 Evangelien mit denen aus der Apostelgeschichte, kommt einem das nur logisch vor: Anfangs als “Lehrlinge”, beziehungsweise Schüler von Jesus auserwählt, sind sie vor allem von Jesu’ Herangehensweise an die unterschiedlichsten Situationen völlig geflasht. Zum Beispiel verwandelt er auf einer Hochzeit Wasser zu Wein (hoch die Hände Wochende), lässt die Jünger am Sabbat Korn ernten und essen (was damals unerhört war, denn am Sabbat darf nicht gearbeitet werden), heilt, erweckt Tote auf, und vor allem wird er zu aller Überraschung nach nur 3 Jahren Wirkzeit getötet. Die Jünger sind total verwirrt, das war relativ ungeplant in ihren Augen. Und zu allem Überfluss steht er drei Tage später putzmunter wieder vor ihnen, grillt Fisch und bereitet ihnen was Leckeres zu Essen vor. Kurz gesagt – Jesus spielt nicht nur mit Vorurteilen und festgefahrenen Vorstellungen, sondern auch mit Naturgesetzen, Zeit und Verstand. Später in der Apostelgeschichte werden die Jünger (die nunmehr Apostel heißen) selbst diejenigen, die im Trubel der Welt mit Vorurteilen, festgefahrenen Vorstellungen, Naturgesetzen, Zeit und Verstand so umgehen, dass den Zeitzeugen die Münder offen stehenbleiben. Ganz im Sinne (oder sollte ich sagen “im Geiste”?) ihres großen Meisters.
So, und nun sind wir hier auf der schönen Insel Gran Canaria und rufen ein “Jüngerschaftszentrum” ins Leben. Das hört sich ja schon fast unverschämt an, so als glaubten wir, dass wir Menschen hier irgendwie zu “Jüngern” ausbilden könnten. Aber uns allen ist klar – das kann nur unser Meister, Jesus Christus. Was wir hier tun, ist eine Spielwiese anzubieten für junge Menschen, die in dieser Welt mit ihren unendlichen Entscheidungsmöglichkeiten leben.
Junge Menschen in der westlichen Welt verfolgt eine Sinnsuche, eine Perspektivlosigkeit und immer wieder die eine Frage: “Was ist Gottes Willen für mein Leben?”
Diese Frage ist für manche vielleicht leichter zu beantworten als gedacht: “Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.” Aber nehmen wir die jungen Menschen ernst, steht hinter der Frage, wie sie diese Liebe konkret in ihrem Leben anwenden sollen. Was denkt Gott über mich? Was ist mein Platz in seinem Reich? Wie kann ich diese dreifache Liebe durch meine Berufswahl, Partnerwahl und Wohnortswahl zum Klingen bringen? Kann ich mich auch falsch entscheiden und somit “aus dem Willen Gottes fallen”?
Cambio als Jüngerschaftszentrum (und eben nicht -schule) ist also wie gesagt eine Spielwiese, wo sich die Teilnehmenden ausprobieren können, ihr Potenzial entdecken und entwickeln können. “Potenzialheber” ist das Stichwort. Sie finden hier Antworten auf Fragen wie: Was kann ich gut? Was hat Gott mir ins Herz gelegt? Was mag ich nicht? Bin ich musikalisch? Sportlich? Sprachbegabt? Was habe ich bisher von Gott gedacht? Was denkt er über mich? Und glaubt mir – immer wieder passiert etwas Unvorhergesehenes, denn auf dieser Spielwiese von Cambio spielt der Meister selbst mit – spielt mit Vorurteilen, festgefahrenen Vorstellungen, Naturgesetzen, Zeit und Verstand. Der große Lehrmeister ist da. Hier vor Ort. Im Grunde verstehen wir unser Zentrum also als nichts anderes als eine Plattform zum Ausprobieren, sich überraschen lassen, Fehler machen, Lernen, Umsetzen, Wachsen.
In meinem Unterricht in einer der ersten Wochen versuche ich Jüngerschaft immer so zu beschreiben: Jüngerschaft ist die Kombination aus Gemeinschaft, Lehre und Umsetzung. Dabei zeichnen diese drei einen immer wiederkehrenden Kreis: Jemand wird in die Gemeinschaft der Christen mithinein genommen, lernt Jesus und seine Lehre immer besser kennen, setzt sie um. Andere sehen diese Veränderung, diese sinnstiftende Lebensführung und finden in der Gemeinschaft unter Christen mögliche Antworten oder einfach nur das – Gemeinschaft. Und schon geht der Kreis von vorne los.
Unser Wunsch ist es, dass die jungen Teilnehmenden von Cambio sich wie die Jünger der Bibel entwickeln: Von begeisterten aber etwas überforderten und kämpferischen Nachfolgern zu nicht minder begeisterten, reifen, verantwortungsbewussten, freien und fröhlichen Anhängern, ja sogar Kindern unseres großen Meisters – Jesus Christus.
Text: Tobi de Vries
Bilder: Susen Bolz | Susen.Foto