Ein Reisebericht über unsere Elternzeit im Campervan: Ich lehne an einer Mauer, mein Blick schweift über die felsige Nordküste der Insel La Palma. Im Hintergrund das stetige Wellenrauschen der Meeresbrandung. Morgen setzen wir mit der Fähre auf die kleine Nachbarinsel El Hierro über. Seit drei Wochen klappe ich zum ersten mal meinen Laptop auf und will all die Eindrücke, all die Gedanken, all die Wunder festhalten, denen wir begegnet sind.
Einfach drauf losfahren.
Unseren Plan für unsere einmonatige Elternzeit haben wir mehrmals verändert. Die erste Idee eines Arbeitseinsatz auf einem Bauernhof auf dem spanischen Festland haben wir schnell über den Haufen geworfen. Stattdessen fahren wir nun für einen guten Monat in einem gemieteten Wohnmobil über die kanarischen Inseln. Ein bisschen Mainstream erschien mir dieser Lebensstil am Anfang, denn wer sich mit dem Elternzeitbusiness auseinander setzt wird schnell merken, dass fast alle Familien unserer Generation für einige Zeit ihre Wohnung gegen ein Leben im Van eintauschen. Aber hey, auch wenn das viele machen, klang es in unseren Ohren nach der perfekten Mischung aus Abenteuer und Leben in der Natur als ganze Familie.
Mit Ellas Geburt begann für uns eine wilde Zeit. Neben Wochenbett und neuer Aufteilung unseres Familiensystems haben wir auch beruflich einige Entscheidungen mit großen Veränderungen getroffen. Die bevorstehenden vier Wochen Elternzeit, direkt nach dem Schlusspfiff unseres vierten Cambio Jahrgangs, waren für uns ein wichtiger Lichtblick in einer kraftzehrenden Zeit.
Also haben wir Anfang März die halbe Wohnung in ein riesiges Wohnmobil gepackt und dann heißt es für uns: raus aus dem Alltag. Mit zwei Kindern, zwei Fahrrädern und ohne Plan war unser erklärtes Ziel: Unterwegs sein und gleichzeitig Ankommen im Leben als vierköpfige Familie.
Spontan, Ungeplant und Präsent.
Die Spontanität, die ich in unserem Alltag oftmals vermisse, war jetzt zu unserem neuen Alltag geworden. Selten planten wir mehr als einen Tag im Voraus. Stattdessen ließen wir uns von einem Stellplatz zum nächsten treiben und kauften in kleinen Supermärkten und auf Wochenmärkten das ein, worauf wir gerade Lust hatten. Unsere Reisegeschwindigkeit in einem 23 Jahre alten Wohmobil war mit durchnittlichen 30 Kilometern pro Stunde das ideale Tempo für unsere Seelen, um zur Ruhe zu finden und die Eindrücke der Wegstrecken zu verarbeiten.
Der erste Sonnenaufgang durch das große Wohnmobilfenster nur wenige hundert Meter außerhalb des Hafens von Santa Cruz de La Palma war für mich einer der prägendsten Momente dieser Reise, weil mir beim Betrachten einmal mehr klar wurde, wie lebenswert das Leben ist. Welcher Schatz in dieser Ungeplantheit liegt, wurde uns schnell bewusst: Schon am ersten Tag lernten wir am Strand eine wundervolle Familie kennen, die ein Jahr mit ihrem Segelboot unterwegs waren und uns auf ebendieses einluden. Mit einer Tasse Kaffe in der Hand versanken wir schnell in tiefe Gespräche über Gott und die Welt. Ohne einen Gedanken an Termine, Telefonate oder Haushaltsaufgaben zu verschwenden, konnte ich mich seit langem mal wieder zu hundert Prozent auf den aktuellen Moment einlassen.
Zeit allein auf zwei Rädern.
Eine der fixen Ideen für den Urlaub war es, dass wir abwechselnd Radtouren über die Inseln unternehmen wollten. Ein Tag Tobi – ein Tag ich. Diese Radtouren durch die atemberaubende Natur der Insel waren absolute Highlights unseres Urlaubs. Direkt nach dem Frühstück und zwischen zwei Stillmahlzeiten in die Radhose steigen und mehrere hundert Höhenmeter durch möglichst schöne Natur zu treppeln.
Mit die spannendste Radtour meines Lebens führte mich dabei an die Ausläufe des Vulkanausbruchs bei El Paso. Auch nach fast zwei Jahren fühle ich mich so, als wäre ich live in einer Tageschaureportage gelandet. In einem Moment fuhr ich durch ein nettes Bergdorf und eine Sekunde später stand ich vor meterhoher schwarzer Lava, die das Nachbarhaus unter sich begraben hatte.
Atemlos bestaunte ich die verheerenden Auswirkung eines mächtigen Naturschauspiels, bevor ich gezwungenermaßen mit einigen Umwegen wieder nach Hause fuhr, denn die Straßen sind nach wie zerstört.
Diese Momente auf meiner grellgrünen “Bicicleta” sind für mich unendlich wertvoll. Ich komme körperlich an meine Grenzen und kämpfe mich nach Schwangerschaft und Geburt Stück für Stück zu meiner früheren Fitness zurück. Gleichzeitig bin ich dort, wo meine Seele zur Ruhe kommt, mitten in der Natur. Nicht selten ertappe ich mich dabei, wie ich staunend in der Schönheit dieser Schöpfung dankbar werde. Dankbar für meine Gesundheit, dankbar für das Rascheln der Eidechsen in den Steinmauern neben der Straße. Ich staune über die Vielfalt der Grüntöne der kanarischen Inseln und die beeindruckend steilen Abhänge, die nicht mal durch eine Leitplanke von meinem Weg getrennt sind.
Ausgebremst.
Nach einer guten Woche Leben auf Rädern kam dann das Aus. Die Vorderreifen des Caravans waren bis aufs Letzte abgefahren. Nur noch ein feines Drahtnetz hielt die Luft dort, wo sie hingehört. Bis neue Mäntel von einer anderen Insel zu uns geschifft wurden, steckten wir erst einmal fest. Frustriert. Denn in dem kleinen Hafenstädtchen Puerto de Tasacorte hatten wir nur für einen kurzen Zwischenstopp angehalten, um dann wieder Richtung Natur und Berge weiterzuziehen. Auf einem Parkplatz voll verschiedenster Camping-Bus-Varianten lernten wir in den kommenden Tagen viele Menschen kennen. Hauptsächlich Deutsche mit alternativen Lebenskonzepten. Manni, der selbsternannte Wächter der Wagenburg lebt seit fast 10 Jahren auf diesem Parkplatz und hat sich neben seinem „Schlafzimmern auf Rädern“ eine komplett begrünte Terrasse samt Wasserleitung an seinen Platz verlegt. Spannend war es, seine Geschichte und Lebensweisheiten zu hören und auch die der anderen Übernachtungsgäste. Wir erlebten diese aufgeschlossene Gemeinschaft von Reisenden, die auf er Suche nach Natur, auf der Flucht vor dem System oder in einer Auszeit mit der Familie waren, als bereichernd. Denn aus jedem Gespräch, egal ob über Hippies oder über freie Schulkonzepte, konnten wir uns etwas mitnehmen.
Als nach vier Tagen die Reifen auswechselt und der Bus gepackt waren, überkam uns fast ein wenig Wehmut diese bunte Gemeinschaft an Campern zu verlassen. Ausgebremst zu sein vom ständigen Reisen und einige Tage Ruhe war genau das, was uns gut getan hat, denn auch das Lebenstempo beim Reisen wird schnell zu schnell.
Zwischen Urlaubsgefühlen und Alltag.
In einem der drei Betten im Bus aufwachen. Kaffee aufsetzen. Theo schlüpft mit den Worten „Mama tschüs – Kinners“ in seine blauen Gummistiefel und klettert noch im Schlafanzug die Treppe des Wohnmobils raus, um mit den anderen Kindern auf dem Platz zu spielen. Gemütlich Kaffe trinken, den Blick aus dem Panoramafenster auf die schönste Natur gerichtet. Gang zu Toilette (jaja, das muss beim Campen auf Grund der langen Distanzen erwähnt werden.) Sonnencreme für Alle. Radtour oder Ausflug. Buch Schmökern. Irgendwann Theo in seinem Schlafanzug umziehen. Einfaches Mittagessen. Siesta in der Hängematte. Zeit am Strand und eine Ritterburg mit Theo bauen. Brotzeit. Kinder schlafen müde von der frischen Luft easy peasy ein. Ein Glas Wein und ein Duell mit Tobi im Brettspiel Cascadia. Lesen in der Koje und ein letzter Blick in den Sternenhimmel.
So oder so ähnlich sahen viele Tage aus. Keins der Projekte, die ich mir für diese vier Wochen vorgenommen habe, bin ich angegangen. Einfach nur sein, nichts abarbeiten, nichts erreichen und in der Ruhe und mit der Natur leben, das war die Essenz unserer Elternzeit.
Unsere Geheimtipps für La Palma
- Ein Sprung in den Charco Azul
- Hängemattenplatz unter den Pinien direkt neben dem schönsten Wochenendmarkt der Insel
- Über die Lava fahren
- eine kleine Wanderung zu einem atemberaubenden Wasserfall im Bosque de los tilos
- Den beeindruckenden Sternenhimmel bei Punta Gorda betrachten.
Annabel
Wie schön, dass manchmal sogar das, was jeder macht, auch einem selbst so viel Gutes geben kann hihi. Das sind herrliche Bilder in meinem Kopf, die du mit Wort und Bild hergestellt hast! Danke, dass du mich auf diese Art mit in euer Wohnmobil genommen hast 🙂