Missionarin zu sein und dazu noch ein Jüngerschaftszentrum zu leiten, bedeutet sicherlich, dass man ein Glaubensleben hat, das keine Tiefen kennt. So zumindest die Fremdwahrnehmung. Doch ich kenne die Insiderinfos und möchte euch mitnehmen in das, was meinen Glauben das vergangene Jahr geprägt hat.
Es war ein Montag im Januar letzten Jahres, der Himmel war wolkenverhangen und ebenso fühlte es sich in mir an. Grau und farblos. Ich musste raus, soviel stand fest, denn diesen Unfrieden, den ich in mir spürte, konnte ich nur im Alleingang durch die Natur sortieren. Mit Regenjacke und Wanderschuhen stieg ich ins Auto ein und wenige Minuten später in den Bergen Gran Canarias wieder aus. Mitten in der Regenwolke lief ich los. Was fehlte mir gerade? Warum war ich so unzufrieden? Woher kam der Unfrieden?
Mit jedem Schritt klarten meine Gedanken auf. Eine Analyse meiner aktuellen Lebenssituation zeigte mir, dass ich den Fokus verloren hatte. Ich verbrachte zu viel Zeit online und hatte immer noch zu wenig Freundinnen hier auf der Insel, mit denen ich ungezwungen und spontan Zeit verbringen konnte. Ich fühle mich weit weg von Gott und meine Seele war ausgehungert.
Lösungsorientiert formulierte also folgende Ziele:
- Monatlich eine Auszeit, um Perspektive zu gewinnen.
- 90 % Offline leben.
- Einen Stammtisch gründen, durch den ich Freundschaften pflegen kann.
- Eng an Jesus sein.
Heute – ein Jahr später hat vor allem der letzte Punkt mein Leben und Glauben eine dringen notwendige Erneuerung gebracht.
Eng an Jesus – wie sieht das aus?
Später im Jahr entwickelte ich auf der Basis eines Buches, das ich empfohlen bekommen hatte, eine herausfordernde Methode zum Bibellesen: Pro Woche mindestens 30 Kapitel in der Bibel lesen. Wenn ich die festgelegte Anzahl nicht schaffe, wiederhole ich sie in der kommenden Woche nochmals. So lange, bis ich das Pensum geschafft habe. Radikal und verbindlich. Das gefiel mir und das brauchte ich in diesem Moment, eine wilde Revolution meines Glaubenslebens.
Matthäus, Epheser, 5 Bücher Mose, Psalmen, Römer, …
Meine Bibellese führte mich einmal quer durch die Bibel und ich merke, wie lieb mir die feste Struktur geworden ist und wie viel Flexibilität sie dennoch hatte. Ob im Bus, morgens bei einem Kaffe, in der Nachmittagssonne am Strand, ich beschäftige mich mit den Gedanken und Themen der Bibel, viel mehr als je zuvor. Ich ließ sie mir von einer sanften Stimme vorlesen, griff zur dicken Studienbibel meines Mannes, wenn ich etwas nicht begriff. Schrieb mir Verse heraus und notiere mir Gedanken zu einzelnen Passagen.
Ich sah, wie Mose mit Gott über sein Verständnis von Leiterschaft diskutiert hat und wie sehr Gott ihn in seinen Aufgaben herausgefordert hat. Ich lauschte den Worten von Jesus, wenn er mit mächtigen Worten der Bergpredigt die bisherige Weltanschauung auf den Kopf stellt. Ich wurde in den grauenhaften Begebenheiten der Bibel, wie die Sintflut oder die Kreuzigung mit der Frage nach Leid und der Liebe Gottes konfrontiert. Ich beneidete die Nähe, die Josua mit JHWH im Zelt der Begegnung erlebte. Das veränderte mich, mein Denken und meine Perspektive aufs Leben, so viel mehr, als ich es mir hätte vorstellen können.
„Es ist ein befreiender Gedanke, dass wir nicht exakt jedes Wort und jeden Buchstaben der Bibel richtig interpretieren müssen um die Bibel lesen und das Gelesene auf unser Leben anwenden zu können.“
– Neil Cole
Eng an Jesus – wie sieht das aus?
Heute fällt mir das ausgefranzte Papier in die Hand, dass ich auf der Wanderung vor einem Jahr in meine nasse Regenjacke gesteckt hatte. Aufmerksam lese ich die damals notierten Gedanken durch. In mir macht sich ein warmes Gefühl der Freude breit, denn die Jahrevorsätze waren hilfreich, mir für die die 365 wilden Tage des Jahres 2022 einen klaren Durchblick zu geben. Zwei Dinge habe ich beim Erreichen meines Eng-an-Jesus-sein-Ziels mitgenommen:
1. Bibellesen ist keine Pflicht, sondern Inspiration.
‚Am besten direkt morgens schon die Bibel lesen, sonst vergesse ich es über den Tag.’, nach diesem Motto habe ich viele Jahre meine Bibellese gestaltet. Hatte ich diesen Vorsatz einen Tag nicht erreicht, ging das oft mit einem schlechten Gewissen einher.
Was ich aber über die letzten Monate erlebt habe ist vielmehr, dass es inspirierender ist die Bibel an mehreren Momenten über den Tag verteilt aufzuschlagen. Natürlich habe ich das Pensum nicht immer gelesen und einen Textabschnitt über mehrere Wochen hinweg immer und immer wieder in Angriff genommen. Das klingt erstmal nach Versagen, das Gegenteil aber ist der Fall. Kapitel in der Bibel über mehrere Wochen hintereinander zu lesen hat mein Textverständnis gestärkt. Klar, nach wie vor verstehe ich nicht alles, was auf den hunderten von Seiten geschrieben ist. Gottes Wesen ist manchmal so widersprüchlich und ich habe mehr Fragen als Antworten. Aber gleichzeitig war ich an vielen Tagen einfach nur verblüfft, wie aktuell und sozialkritisch die Verse der Bibel sind.
2. Es gibt nicht die eine pauschale Lösung.
In den letzten Wochen, also den ersten des neuen Jahres 2023, habe ich meine eigene Routine etwas aus den Augen verloren. Es fällt mir schwer, das Buch der Bücher (meine Version hat einen blau gemusterten Einband) aufzuschlagen. Die langen und ruhigen Spätsommerabende mit Ella im Bauch wurden von vollen Tagen als Zweifachmutter zurück im Arbeitsalltag abgelöst. Mein Lebenstempo hat sich wieder erhöht und ich merke, dass meine Gedanke beim Lesen schnell abschweifen. Oft kommt es vor, dass meine Konzentration nur von kurzer Dauer ist und ich die die Worte lese, ohne wirklichen den Sinn dahinter zu entdecken. Es ist an der Zeit, meine Methode zu erneuern und eine neue Art zu entdecken, wie ich nah an Jesus bleiben kann. Wir leben in einer schnelllebigen Welt und das hat zur Folge, dass sich auch unsere Lebenssituationen schneller verändern. Also nutze ich den ersten Monat diesen Jahres wieder dazu, um meine Routine mit Gott abzustauben, abzuändern und an meine neue Lebenssituation anzupassen.
Wie gehst du an diese Sache ran?