Wie eine Geburt mein Gottesbild verändert hat

Das Gefühl, geliebt zu werden, trage ich glücklicherweise seit ich denken kann in mir. Meine Eltern haben mir in meiner Kindheit immer wieder versichert, wie sehr sie mich lieb haben und wie wichtig ich ihnen bin. An unserem gemeinsamen Geburtstag erzählte mir meine Mutter jedes Mal aufs Neue, dass ich doch das schönste Geburtstagsgeschenk sei, dass sie jemals bekommen hat.
Viele Predigten, die ich Sonntags gehört habe, vergleichen diese bedingungslose Liebe von Eltern zu ihren Kindern mit der Liebe Gottes zu uns. Doch obwohl ich mich in meiner Familie immer geliebt gefühlt habe, fiel es mir schwer diese reale, greif- und spürbare Liebe meiner Eltern auf die Beziehung zwischen Gott und mir zu übertragen.

Erst vor wenigen Monaten, in einem Moment am 10. Juni 2020, in dem ich in die dunkelblauen Augen meines Sohnes geblickt habe, konnte ich begreifen, was es heißt bedingungslos lieben zu können. Vielleicht klingt das jetzt zu abgedroschen, aber wie würdet ihr das nennen, wenn euch jemand die schlimmsten Schmerzen zufügt, die ihr euch vorstellen könnt und euch danach einen Blick schenkt, der euer Herz platzen lässt vor Freude und Zuneigung – dann ist das wohl eben dieses Phänomen der bedingungslosen Liebe. Einer Liebe, um der Liebe willen.

Liebe, um der Liebe willen.

Theo hat sich meine Liebe um zwei Uhr nachts nicht verdient, bis dahin hatte er auch nicht viel geleistet (außer meinem Bauch Tritte zu verteilen und unter Schmerzen auf die Welt zu kommen, aber das ist nicht wirklich liebenswert). Trotzdem liebe ich Theo seit diesem Zeitpunkt so, wie er ist. Es ist egal was er macht: ob wir eine anstrengende Nacht hinter uns haben, einen fiesen Kackunfall, oder die 14 Stoffwindeln an einem Tag wechseln müssen – irgendwie ist da immer unendlich viel Liebe in meinem Herzen. Denn Theo gehört zu mir, ist ein Teil von mir, egal was er tut. Jetzt erst begreife ich: So muss auch Gottes Liebe für uns sein. Denn wenn ich mich als Kind Gottes verstehe, dann bin ich eben auch ein Teil von ihm, egal was ich tue: Ich gehöre zu ihm.

» Seht doch, welche Liebe der Vater uns erwiesen hat:
Wir sollen seinen Kinder heißen -
und sind es tatsächlich. «
[die Bibel: 1. Johannes 3:1]

So geht diese Gleichung tatsächlich auf und ich begreife: Gottes Liebe zu uns ist ungefähr so, wie meine Liebe zu Theo. Bedingungslos. Nicht weil ich etwas tue, nicht weil ich etwas habe, sondern einfach nur weil ich bin.

Ich lese gerade ein spannendes Buch*, in dem ein Modell vorgestellt wird,  das Menschen einem von neun Persönlichkeitsmustern zuteilt. Über das Muster, in dem ich mich am meisten wiederfinde, schreiben die Autoren:

„Es dauert lange, bis Sie begreifen, dass es mehr gibt als erkämpfte Anerkennung: unverdiente, bedingungslose Liebe. […] In Ihren besten Momenten wissen Sie, dass Sie in Wirklichkeit ein schwach entwickeltes Selbstwertgefühl haben, wenn man Ihnen Ihre „Produkte“ nimmt. […] Ihre Devise: ‚Ich produziere, also bin ich.‘ “

Oops – ertappt. Mich hat diese Beschreibung getroffen. Sehe ich meinen Selbstwert darin, wer ich bin? Oder schöpfe ich ihn aus dem, was ich leiste? Vielleicht geht es nur mir so, aber vielleicht ist es auch ein genereller Trend unserer Gesellschaft, dass wir uns und unseren Wert über unsere Erfolge definieren.

Samuel Koch (ein Mann, der sich in seiner Jugend über seine sportlichen Leistungen definierte und dem bei einem schrecklichen Unfall jegliche Bewegungsfähigkeit unterhalb seines Halses genommen wurde) hat unserer heutige Gesellschaft folgendermaßen beschrieben: Oftmals leben wir Menschen nach dem Prinzip tun – haben – sein. Das bedeutet, dass wir  etwas tun (studieren, trainieren, arbeiten, …), um etwas zu erreichen (einen Abschluss, eine Medaille, eine Lohnabrechnung oder besser noch eine Gehaltserhöhung). Dann erst sind wir etwas.  Was wir tun und erreicht haben, definiert, wer wir sind. Doch um glücklich und gesund zu leben, müssen wir dieses Prinzip umkehren zu sein – haben – tun.

Wir haben einen Wert einfach nur weil wir sind, denn es heißt ja Selbstwert und nicht Tuwert. Und weil wir diesen Wert haben, können wir Dinge tun, können wir handeln und auch Fehler machen. Denn unser Wert und die Liebe Gottes zu uns sind nicht mehr an unser Handeln, sondern an unser Sein geknüpft. Gottes Liebe zu uns ist vom Typ „Geliebt, weil ich bin“ nicht „Geliebt, weil ich es mir verdient habe“.

Seit fast drei Monaten darf ich jeden Tag mehr entdecken, wie groß Gottes Liebe für mich ist. Denn wenn ich Theo anschaue und in mich hinein höre weiß ich, dass meine bedingungslose Liebe für ihn so ist, wie  Gottes bedingungslose Liebe für mich.

 

Alles Liebe,

LeneUnterschrift

 

* Das Eneagramm von Richard Rohr und Andres Ebert

Ein Kommentar

  1. Iris Koch-Silberhorn

    Liebe Marlene,
    es ist ein wirkliches Geschenk, die von Dir geteilten Gedanken lesen zu dürfen und auf diese Weise für einen winzigen Augenblick auf die Reise in Deinem Leben mitgenommen zu werden.
    Ich denke, genau dieser Selbstwert ist die Basis zum Selbsterhalt, was wiederum auch Stabilität für sich und die Familie bedeutet. Denn Halt ist, einhergehend mit der Liebe, das Wichtigste, das wir unseren Kindern geben können. Auch wenn sie längst ihren eigenen Lebensweg eingeschlagen haben. Meine beiden sind im September 2019 gleichzeitig ausgezogen und es fällt mir noch immer schwer, nun weniger das Wort „Halt“, als vielmehr das Wort „Selbst“ zu betonen-für sie, aber auch für mich. Is genau an diesem Punkt ist es besonders wichtig, sich wieder an diese bedingungslose Liebe erinnern zu können.
    In diesem Sinne,
    ganz liebe Grüße
    Iris

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