‚DU sprichst über Ruhe und Entschleunigung?‘.
Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich für einen Vortrag zum Thema `Ruhe statt Rastlosigkeit` recherchiere, hat sie gegrinst, mich fragend angeschaut und obige Frage ausgesprochen. Wer mich etwas besser kennt, weiß, woher die Verwunderung rührt. Ich bin eine sehr aktive Person. Es fällt mir schwer, meine Beine still zu halten, ruhig zu sitzen und nichts zu tun. Dagegen liebe ich es, unterwegs zu sein, Sport zu machen und meine Tage voll mit Möglichkeiten für Begegnungen und Erlebnissen zu bespicken. Ich bin ein Effizienz-Fan und sicherlich trägt auch die Lebenspahse als junge Mutter und die scheinbare Notwendigkeit des Multitaskens zu meinem hohen Lebenstempo bei. Fest steht: Ich bin nicht gerade ein Profi darin, Ruhe auszustrahlen und entschleunigt zu Leben.
Doch ich meine, die besten Vorträge gegen Drogenkonsum besipielsweise kommen ja auch von Ex-Junkies.
Also bin ich doch qualifiziert einen Beitrag zu diesem Thema zu verfassen… oder?
Angeregt durch die Ideen, die ich in dem Buch “Das Ende der Rastlosigkeit” von John Mark Comer gefunden habe, versuche ich Woche für Woche neue Ideen in die Praxis umzusetzen. Das klappt mal besser, mal schlechter. Gerade jetzt, nach zwei Monaten Deutschlandaufenthalt und zum Wiedereinstieg in den Alltag hier auf GC, möchte ich mir die drei wichtigsten Lektionen nochmal ins Bewusstsein rufen und einige Selbstversuche starten, so dass die Ruhe Einzug findet in unser wildes Alltagsleben.
Ein Auszug aus meinem Leben Anfang dieses Jahres
“In den letzten zwei Tagen fühle ich mich trübselig. Habe wenig Freude. Möchte keinen Menschen sehen. Meine Gedanken kreisen wie Aasgeier in der Wüste um vereinzelte Themen ohne diese wirklich zu durchdringen. Der O-Ton ist monoton und latent aggressiv.
Ich habe wohl meine Energiereserven vollends aufgebraucht. Kurze Nächte, auf Grund von Ellas letztem Entwicklungsschub. Volle Tage, die eine maximal effektive Aneinanderreihung von Aktivitäten sind, um mein Tagessoll zu erreichen. Dazwischen wohltuende Ruhepausen, bei einem Spaziergang oder bei der Flucht in meinen Roman in der Mittagspause auf dem Sofa.
Vor einigen Wochen habe ich das Buch „Das Ende der Rastlosigkeit“ angefangen. Nach dem ersten Drittel habe ich das Buch auf die Seite gelegt. Es mangelte mir an Motivation und kognitiver Kapazität, neben dem vollen Alltag auch noch anspruchsvollen Lesestoff zu verarbeiten. Kurz: Mein schnelles Leben hat mich davon abgehalten, eine Lösung für meinen derzeitigen Zustand zu finden.
Jetzt sitze ich an einem Samstagmittag auf meinem Bett. Die Wohnung ist ruhig und ich habe noch etwa zwei Stunden bis zum nächsten Termin. Also raffe ich mich auf, und widme meine Konzentration einer möglichen Lösung. Wie werde ich sie los – die Rastlosigkeit in meinem Leben?
Später sitze ich am Küchentisch und habe eine innere Ruhe gefunden.
Wie?
Ich habe ein Kapitel voll wertvoller Ideen über Stille & Einsamkeit gelesen und ausführlich darüber nachgedacht. Dabei bin ich eingeschlafen, habe Energie getankt. Nach einem Teller Seelenfutter (Kaiserschmarrn, ein Rezept aus meiner Kindheit) habe ich eine Kerze angezündet, um am helllichten Tag eine heilige Atmosphäre zu schaffen. Ich habe ein Gedicht aus der Bibel gelesen. Psalm 51, der meinen Seelenzustand perfekt wiedergeben hat. Danke David, dass ich mir deine Worte leihen konnte, um aus meiner vollen und fehlerhaften Woche und meinem zerknirschten Geist in Gottes Nähe zu treten. Ich habe mir 5 minuten die Sonne durch das offene Fenster auf mein Gesicht scheinen lassen und jetzt ist es meine Seele weniger trübe.”
Jede Lebensphase bringt Herausforderungen mit sich.
In der Ausbildung, der Ehe, ob Kleinkinder oder Karriere, Pubertät, in der Mitte des Lebens oder bereits in Rente – unsere Tage sind voll von Aufgaben, Informationen, Erwartungen und Begegnungen mit Menschen. Überlastung und Burnout ist eine Volkskrankheit.
Jedes Jahrhundert der Menschheitsgeschichte hatte Herausforderungen, so auch das unseres: Wir leben in einer Zeit voller Lärm aus Umgebung, vor allem aus unserem Handy.
Dabei gibt es einige Faktoren, die unsere Zeit besonders beeinflussen:
1. Lärm: Apps, Notifications, Musik auf den Ohren, Menschen nicht nur in unserem Umfeld sondern auch digital vernetzt, und dazu noch unserere Gedanken im Kopf.
2. Beschäftigung: Wir füllen unsere Tage bis zum Maximum aus, perfektionieren unser Multitasking, um allem gerecht zu werden. Sind beschäftigt und wichtig und versuchen uns nicht ablenken zu lassen.
3. Konsum: Wir wollen mehr Besitz, mehr Komfort, mehr Luxus oder zumindest will die Wirtschaft das für uns. Materialismus ist in und hält uns fleissig im Hamsterrad des Verdienens und Ausgebens gefangen.
4. Komplexität: Globalisierung, Vernetzung, Automatisierung, künstiliche Inteligienz und Sichtbarkeit. Das Zusammenspiel dieser Faktoren macht das Geschehen in unserer Welt so transparent und so nah wie nie zuvor. Doch unsere Seele ist überfordert davon, denn wer blickt noch durch in den weltweiten Konflikten, Gefahren des Klimas und Informationen von privaten Socialmedia Kanälen.
Durch Lärm, Beschäftigung, Konsum und Komplexität unserer Welt haben wir es verlernt im Moment zu Leben. Wir leben in der Vergangenheit, denken an die Zukunft, sind unzufrieden mit dem Ist-Zustand oder legen unseren Fokus auf einen anderen Ort. Doch das, was unser Leben wirklich erfüllt, ist, den Moment zu finden. Im Hier und jetzt.
Soviel zum Problem , doch die spannende Frage ist vielmehr: Wie können wir einen erfüllten Alltag gestalten, in dem wir leistungsfähig aber nicht rastlos sind?
Zum Thema Ruhe hat Jesus jede Menge Ahnung gehabt, denn er war drei Jahre lang der gefragteste und gejagteste Mann im nahen Osten.
In den vergangenen Monaten habe ich mir einiges von meinem Meister Jesus zum Thema Entschleunigung und Ruhe abgeschaut. Es ist noch lange nicht perfekt oder zu aller Gänze umgesetzt, aber zumindest die Theorie habe ich verstanden.
Die Lösungsansätze für unser scheinbar neumodiges Gesellschaftsphänomen des rasanten Lebensstils, werden (neben dem oben genannten Buch von John Mark Comer) schon viele tausend Jahre zuvor in der Bibel beschrieben.
Lektion 1 – Finde deinen EREMOS-Ort für Stille und Einsamkeit.
EREMOS ist das griechische Wort für einen einsamen Ort, wüst & verlassen, trostlos und in der Wildnis. An solche Orte hat sich Jesus in aller Regelmäßigkeit zurückgezogen.
Sie waren Teil seines Lebensrhythmus. Direkt nach seiner Taufe im Jordan zum Beispiel, seiner ersten offizielle Amtshandlung als „Sohn Gottes“ hat Jesus einen sechswöchigen Soloausflug in die Wüste unternommen. Andere EREMOS Orte hat Jesus früh Morgens vor dem Tagesgeschehen oder nach Auftritten mit großen Menschenmengen aufgesucht, um fern von Erwartungen und Menschen in der Einsamkeit Gott zu begegnen. Diese Auszeiten waren elementare Rüstzeiten für sein Tun.
Was der Rabbi vorlebt, brauche ich als seine Jüngerin auch in meinem Leben. Denn das, was eine Jüngerin definiert, ist, dass sie bei einem Rabbi in der Lehre ist. Also in meinem Fall in einem Lernprozess mit Jesus, von dem ich mir Prinzipien und Lebensweisen aneignen möchte, um ein erfülltes und gerechtes Leben zu führen.
Welche EREMOS Orte haben wir in unserem Leben?
“Wann suche ich einen Ort auf, an dem die äußere Ruhe eine innere Stille ermöglicht? Fernab vom Lärm der Straßen in Gran Canaria, der Musik, die aus den vorbeifahrenden Autos durch unser Fenster dringt. Fernab vom Lärm der Erwartungen, Aufgaben und auch von den Stimmen meiner Kinder, der mein Leben überfüllt.
In meinem Alltag habe einige EREMOS Momente identifiziert, einer davon ist mein Kaffee im Morgengrauen oder eine Auszeit auf meinem Fahrrad in der Natur.
Mal genügen die paar Minuten am Morgen. Mal brauche ich einige Stunden in der Natur. Je nachdem, wie intensiv der Stress und die Stimulation in meinem Leben ist, desto länger brauche ich, um zu einer akzeptablen Stille zu kommen. Eine Stille, die mir keine Angst macht, in der ich mich nicht verlassen fühle und die ein Investition ist, in mein Sein und mein Sein mit Gott.”
Eremos – ich liebe den Klang dieses Wortes. Und es muss nicht der abgeschiedenste Ort der Welt sein. Die Geschichte von Susanna Wesley, der Mutter von John Wesleys und 9 weiteren Kindern zeigt, dass durch Kreativität ein Eremos Ort auch mitten im Gescheghen entstehen kann.
Ganz gleich, was der Tag mit sich brachte und was gerade zu tun war, wenn bei Susanna Wesley die Uhr eine bestimmte Zeit anzeigte, schlug sie ihre lange Schürze über ihr Gesicht und setzte sich an der Stelle auf den Boden, an der sie sich gerade befand, um zu Beten. Für ihre Kinder war dies das Zeichen, dass ihre Mutter nicht verfügbar war. Sie mussten ihre Porbleme für diesen Moment selbst klären und leise sein. Was für eine wertvolle Routine, um in einem Haushalt mit einem dutzendend Personen nicht die Vebrindung zu Gott zu verlieren.
Ja, es ist möglich, EREMOS Momente in unserem Leben zu integrieren, es braucht nur etwas Kreativität und Disziplin, um uns diesen wichtigen Raum für die Begegnung mit Gott zu schaffen. »Gott und ich, wir sind eins« – so beschriebt Meister Eckhart seine Eremos Momente. Wie und wo trifft das für dich zu?
Thomas Röttger
Hallihallo!
Oh ja, auch wenn ich EREMOS hier und da im Wagen auf dem Weg wo auch immer hin, beim Spaziergang (eine gewohnten Runde) oder beim wöchentlichen Schwimmen es holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück bring einen auf den Hauptweg seines Leben‘s. Ich habe es ja nicht so mit Jesus und Gott, doch die Zeilen zu lesen kann ich ganz viel abgewinnen und habe mich darin wiedergesehen….
Danke aus Hamburg
Thomas
Lene de Vries
Lieber Thomas,
das freut ich so sehr zu hören. Und deine Ruhe Momente klingen wundervoll.
Ganz liebe Grüße nach Hamburg.