Spieglein, Spieglein an der Wand

Im Gegensatz zu der bösen Stiefmutter aus dem Märchen Schneewittchen, dem der obige Spruch entnommen ist, werde ich in diesem Blogeintrag einen ehrlichen Blick in den Spiegel werfen und mich realistisch damit auseinandersetzen, was er mir zu sagen hat.

Oft ist es so, dass die Stimmen von Freunden, Verwandten, oder die kurzen Begegnungen mit Menschen, mir einen ungesehenen Blickwinkel auf mein Leben präsentieren. Eben wie ein Spiegel. 

So möchte ich mich fragen, was hinter diesen (manchmal salopp formulierten) Kommentaren steckt und reflektieren wie es Marlene und mir momentan in der Arbeit bei Cambio geht. 

Die erste Stimme kommt von einem efahrenen Missions-Kollegen, der seine Arbeit auf dem Festland in Spanien gerade beginnt und auf einer Steppvisite bei Cambio vorbeikam, um sich das Projekt einmal anzuschauen und sich inspirieren zu lassen.

Stimme 1: „Das haltet ihr keine zwei weitere Jahre so aus.“

Das traf. Vor allem, weil es über einen Zeitraum von wenigen Wochen ähnliche Sätze von guten Freunden und von unseren Eltern kamen. Der Kommentar bezog sich darauf, dass Lene und ich als Ehepaar frisch die Leitung von Cambio übernommen hatten und wir uns mit genanntem Kollegen darüber unterhielten, wie wir das Leben von Beruf und Familie versuchen zu balancieren. Denn natürlich befinden wir uns nicht nur beruflich in einer intensiven Phase mit so viel Verantwortung wie nie zuvor – auch privat gründen wir seit knapp vier Jahren das Start-Up Familie. Und dieses Start-Up, hat für Lene und mich die höchste Priorität, denn dieses Team bleibt unser Leben lang bestehen. Für unsere Kinder wollen wir den Fokus auf eine intensive, gelingende und liebevolle Zusammenarbeit legen (vergebt diese Vergleiche mit der Berufswelt, aber als Stilmittel erscheint es mir hier perfekt reinzupassen). Gleichzeitig ist da aber auch unsere Leitungsfunktion von Cambio. In irgendeinem Leadership-Workshop, -buch oder –podcast habe ich mal aufgeschnappt, dass die meisten Personen auf der Arbeit einen Posten zu weit oben einnehmen, als ihre Fähigkeiten, persönliche Situation oder Gabenprofile es ihnen erlauben, bzw., als es ihnen guttut. Genauso fühlen wir uns seit der Übernahme der Teamleitung vor einem Jahr. Irgendwie immer “eins zu viel”. Deshalb brauchen wir Unterstützung, und die suchen wir in Form von weiteren Mitarbeitenden, langfristige Teammitglieder, sowie kurzfristige Stellen für Praktika. Es ist nicht so, dass ich sagen würde, dass Lene oder ich keine guten Leitungspersonen seien. Grundsätzlich sind wir das schon. Aber in der momentanen Lebensphase fühlt sich die Leitungsfunktion bei Cambio in Kombi mit der Gründungsphase Familie an, wie eine rasante Abfahrt von Ella, es macht Spaß, aber der Lenker gerät durch das hohe Tempo immer mal wieder ins Wackeln… 

Stimme 2: “Ihr definiert eine Spur bei Cambio, der andere folgen können.”

Zugegeben, so wortwörtlich hat das keiner zu uns gesagt. Aber das beschreibt am besten das Kredo, dass wir uns in den Monaten März und April selbst zugesprochen haben. Wir sind mitten dabei, die Strukturen des Cambio Projekts umzugestalten. Was bisher der Verein “Allianz Mission en España” war, wird in den kommenden Wochen zum Verein “Cambio” umgeweandelt, sodass wir nicht nur den Namen, samt einiger Statuten ändern, sondern auch die rganisatorischen Strukturen und Abläufe schlanker und übersichtlicher gestaltet haben. Dazu führen wir ein Board von Außenstehenden ein, die uns beratend und auch mit ihren Wahlstimmen zur Seite stehen, um Cambio kultursensibel und gesund in die Zukunft wachsen zu lassen. Für das Board sind 5 Leute angedacht: ein Vertreter der Allianzmission in Deutschland, ein Vertreter der Allianzmission auf den kanarischen Inseln, der Präsident des spanischen FeG-Bundes (“FIEIDE”), die Leiterin der FIEIDE-Jugend und der Teamleiter von Jugend mit einer Mission Las Palmas. Mit all diesen viel beschäftigten Leuten Beziehungsarbeit zu leisten, war über das letzte Jahr unser Fokus. Daraus entstand z.B. eine Kooperation mit Jugend mit einer Mission, die nun drei Monate das Cambio Haus mieten und dort ihrem Dienst nachgehen können. All diese strukturellen Veränderungen sind nötig, um es nachfolgenden von Leitenden und Mitarbeitenden bei Cambio möglichst leicht zu machen, sich auf das Wesentliche ihrer Arbeit zu konzentrieren: Die Präsenz im Leben junger Menschen, die sich von Gott bei Cambio verändern lassen wollen.  

Stimme 3: “Gott ist viel mehr bereit zu machen, wenn wir ihn lassen."

Eine gute Freundin, die ein paar Tage hier bei uns zu Besuch war, hatte vor einem halben Jahr einen heftigen Unfall auf dem Mountainbike. Sie selbst war auch, so ähnlich wie unsereins, sehr engagiert und ständig “unter Strom” (und ebenfalls in einem grossen Missionswerk tätig). Seit dem Unfall geht sie die Dinge in ihrem Leben gelassener an. “Ich war gezwungen, mich mehr auf Gott zu verlassen, denn meine Konzentration und Arbeitsfähigkeit war nur noch ein Bruchteil von dem, was sie vor dem Unfall waren.” Und sie merkte plötzlich, dass ihre Arbeit gar nicht darunter litt – ganz im Gegenteil: Gott hatte plötzlich Raum, um die Aufgaben, Probleme und Sorgen auf seine so bekannte “Gottes-Art” zu erledigen. Statt detaillierte Planungen und sich ständig Stress machen, einfach mehr Gottvertrauen. Das hat mich aufhorchen lassen. Denn ehrlich gesagt bin ich gerade auch dabei, dass zu entdecken. Gott sei Dank ohne Unfall (auch wenn der O-Ton unserer Freundin mit zwinkerndem Auge war: “Ich wünsche eigentlich jedem mal so einen Unfall.”). Im Juni und Juli werden wir unseren zweijährlichen Heimataufenthalt in Deutschland haben. Und das ist immer eine sehr anstrengende Sache, denn unterschiedlichste Parteien haben da Ansprüche an uns: Arbeitgeber, Unterstützergemeinden, Bekannte, Hauskreise, Vereine, Jugendkreise, Spendende, Freunde, Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen, Großeltern, alle haben Erwartungen an diese Zeit. Und wir selbst natürlich auch. Es birgt eine grosse Chance, mal für zwei Monate den Blick “von außen” auf das Geschehen bei Cambio zu haben. Aber ihr merkt schon – es ist unmöglich, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Eigentlich kann man nur enttäuschen. Deshalb ist es uns jetzt in der Vorbereitung so wichtig wie noch nie, die Lehre von unserer Freundin umzusetzen: Gott mehr Raum geben, nicht alles so detailliert zu planen und unsere Auftritte bis zur Perfektion auszuklamüsern. 

„Frau Königin, Sie sind die Schönste im Land – Aber Schneewittchen bei den sieben Zwergen, die ist noch viel Schöner als Sie.“ 

Die Frage ist, wie gehe ich mit dieser unverschämten Wahrheit um, die uns unsere Grenzen aufzeigt? Lasse ich meiner Verbitterung so viel Raum, dass sie mich bis zum Wahnsinn und schliesslich zu Mordversuchen an Schneewittchen treibt? Oder akzeptiere ich meine Grenzen, schaue, wie ich innerhalb dieser agieren kann, sodass ich für andere ein Segen sein kann und schaue auch auf das Positive, was die Stimme mir sagt? Denn immerhin ist die Stiefmutter ja noch ziemlich schön. Warum denn immer “die Schönste, der Beste, die Schnellste, der Heiligste” sein?  
Oft wird die Bibel mit einem Spiegel verglichen, der uns aufzeigt, wie wir Menschen im Auge Gottes gesehen werden. Deshalb eine vierte Stimme zum Abschluss:  

Stimme 4: “Du bist mein geliebtes Kind.” (Z.B.  1.Joh 3:1, die Bibel) 

Egal ob wir Erfolg haben, egal ob wir versagen. Dass wir Seine Kinder sind, das zeichnet uns aus. Und in dieser Stimme des deutlichsten und klarsten Spiegels der Welt finde ich Ruhe und Frieden. Die Ruhe und der Frieden, die mir oft fehlen, in der Leitungsfunktion bei Cambio und in dem Familien Start-Up. 

Diese Stimme sagt mir dann: 

“Du bist mein geliebtes Kind. Deshalb darfst du auch deine Grenzen wahrnehmen und Hilfe in Anspruch nehmen.”  
“Du bist mein geliebtes Kind. Deshalb darfst Du jetzt Nein sagen.”  
“Du bist mein geliebtes Kind. Deshalb bist du gut genug.”  
“Du bist mein geliebtes Kind. Deshalb darfst du dir jetzt Zeit lassen.”  
“Du bist mein geliebtes Kind. Deshalb darfst du jetzt gelassen sein.”  
Gott helfe uns dabei, entspannte, ruhige und verantwortliche Kinder zu sein, die Freude und Spass an ihrer Arbeit und an ihrer Familie haben. 

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