Vier ist ‘ne Party!

Seit dem 5. Oktober gibt es Ella de Vries auf dem Planeten Erde. Ein kleines Baby, das sich mit etwas Verspätung, aber dafür umso flotter auf den Weg aus meinem Bauch hinein in unser Leben gemacht hat. Nach sechs Wochen ziehe ich ein kurzes Zwischenfazit über das Leben als Viererfamilie.

Geburt auf spanisch.

Dass ich nicht aufgeregt war, vor einer Geburt in einem spanischen Krankenhaus – wäre gelogen. Krankenhäuser sind wirklich nicht der Ort, an dem ich mich wohlfühle. Schon der Geruch nach Desinfektionsmittel, das Fachpersonal in sterilen Kitteln und die viele Türen, hinter denen ich die schlimmsten Diagnosen vermute, rufen in mir ein generelles Gefühl des Unbehagens hervor. Unter anderem aus diesem Grund habe ich Theo in einem Geburtshaus zur Welt gebracht. So etwas gibt es hier auf den kanarischen Inseln allerdings nicht und eine Hausgeburt in unserer hellhörigen Mietwohnung, bei der die Nachbarn jede Wehe mit veratmen könnten, kam für uns nicht in Frage. Also doch in die Frauenklinik, in der etwa 90% der Kinder hier auf Gran Canaria zu Welt kommen. So schlimm kann es dann ja nicht sein.
Noch auf dem Weg zum Krankenhaus unter starken Wehen sind Tobi und ich die wichtigsten Fachwörter durchgegangen, die es auf jeden Fall zu wissen galt. Die Aufnahmepapiere mussten wir, dank eines Fehlalarms einige Tag zuvor, nicht mehr ausfüllen – zum Glück. Denn dann ging alles ganz schnell, gute zweieinhalb Stunden später war Ella geboren. In einem Kreissaal, der noch wenige Minuten davor belegt war (!) und unter der Begleitung von unglaublich kompetentem Personal.

Fazit #1: Geburten auf spanisch sind super. Entgegen meiner Erwartungen habe ich mich sehr wohl gefühlt bei meiner Klinikgeburt. Klar, einen Zugang gelegt zu bekommen und den Mann mit Mundschutz und sterilem OP Kittel neben sich am Bett zu haben ist ungewohnt. Aber ich als Gebärende habe mich in keinem Moment unsicher oder ungenügend betreut gefühlt. Tobias Version ist etwas anders, er war als Geburtshelfer und Dolmetscher durchaus mehr gefordert als bei unserem ersten Geburtserlebnis. Er hat seinen Job aber glänzend gemeistert und verdient an dieser Stelle einen virtuellen Applaus.

 

E L L A – der Name ist eine Hommage an zwei starke Frauen unserer Familien und bedeutet die Strahlende / die Schöne.  

 

Einleben zu viert.

In dem Moment, in dem ich im Kreissaal unter wildem Durcheinander der Hebammen zum ersten Mal in die dunkelblauen Augen meiner Tochter geschaut habe, begriff ich: Jetzt sind wir zu viert. Die ersten Tage zu Hause waren wild. Zwischen Windeln und unterschiedlichsten Emotionen haben wir uns an das neue Familiensystem gewöhnt. Theo war nun ein großer Bruder, der vieles erst verstehen musste. Auch, sich als Ehepaar zu begegnen war in den kleinen Zeitfenstern, die sich in den Schlafphasen der Kinder auftaten, eine Herausforderung. Die vielen interessierten Anrufe von Freunden und Familie waren wunderschön, doch hinterließen nach dem Auflegen eine gewisse Leere in uns, denn sie waren nur ein schwacher Trost, verglichen mit einem echten Besuch.
Das zweite Kind ist keine so einschneidende Veränderung wie das erste, dennoch merkten wir, dass wir uns an die neue Situation noch gewöhnen mussten. Irgendwo zwischen Bergen von Dreckwäsche, leckerem Essen, das uns Freunde vorbeibrachten, und gemeinsamen Stunden auf dem Sofa haben wir dann aber doch unsere neue Balance als Familie gefunden: Theo macht sein Job als großer Bruder viel Spaß und er sucht mehrmals täglich Ellas Nähe. Tobi übernimmt für die ersten Monate nach der Geburt 30% meiner Arbeitszeit zusätzlich zu seiner und ich habe die Freiheit, den Mutterschutz zu genießen und unser Familienleben zu gestalten.

Fazit #2: Erstmals leben wir nach einem sehr traditionellen Familienmodell. Das hatten wir so in unserer Beziehung bisher noch nie, denn Tobi und ich haben immer zu gleichen Teilen gearbeitet und auch den Haushalt zwischen uns aufgeteilt. Schon jetzt merken wir, dass wir weniger Zeit miteinander verbringen und uns oft nur die Türklinge und die Kinder in die Hand geben. Unsere regelmäßigen Dateabende gewinnen dadurch an Wichtigkeit. In diesen Stunden haben wir Zeit uns auszutauschen, neu zu sortieren und uns bei einer köstlichen Pizza ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken.

Alltagsleben.

Eine Anekdote aus der ersten Woche zu viert.
Mittwochnachmittag. Ich mache mit den beiden Kids einen Besuch bei Cambio, da sie Tobi sonst den ganzen Tag nicht sehen würden. Mit Kinderwagen und Trage geht die Reise los. Der Hinweg, kein Problem. Der Rückweg, eine mittelgroße Katastrophe. Auf halber Strecke bekommt Ella Hunger, die nächste Bank ist 300m Weit entfernt, aber Theo ist mit einem Stock am spielen und will partout keinen Schritt weiter laufen. Ich entscheide mit kurzerhand einfach dazu, auf dem Bürgersteig zu stillen, hole Ella aus der Trage und setze mich also mitten im Trubel des Unigeländes auf den Boden. Wenige Minuten später höre ich Theo „Mama Pipi“ sagen. Als ich mich umdrehe zeichnet sich auf der hellgrauen Hose bereits ein großer dunkler Fleck ab. Mist. Doch damit nicht genug, Theo bewegt sich mit versteinertem Gesicht keinen Meter und mir steigt ein übler Geruch in die Nase. Den Rest könnt ihr euch denken. Ich saß also  stillend am Straßenrand, neben meinem vollgekackten Kind,  die Busse fuhren an uns vorbei und ich versuchte statt innerlich auszurasten, die Situation mit Humor zu nehmen.
Das sind die herausfordernden Momente unseres Lebens mit zwei Kindern. Aber ehrlich gesagt, sind diese weit weniger als die unbezahlbar schönen Momente. Die Momente, in denen sich Theo ganz vorsichtig neben seine schlafende Schwester aufs Sofa legt und ihr einen Kuss auf den Kopf gibt. Der Moment, indem sich Ella’s Grübchen auf der Backe bei einem kurzen Lächeln abzeichnen. Der Moment, wenn wir zu viert auf dem Platz in unserem Viertel sitzen, mit Kreide malen und in der Nachmittagssonne Backgammon spielen.

Fazit #3:
Ja, es kommt mindestens zwei mal am Tag vor, dass mir zwei Hände fehlen. Aber generell bin ich eher erstaunt darüber, dass bereits nach drei Wochen eine gewisse Routine in unser Leben Einzug gefunden hat. Wie bringe ich bitte zwei Kleinkinder gleichzeitig ins Bett – zweimal geübt – inzwischen kein Problem (zugegeben, ich fange auch schon zwei Stunden vor der Schlafenszeit damit an). Es gilt an vielen Stellen, neue Abläufe zu entwickeln und Strukturen zu finden, aber wenn ich eins liebe, dann das. Wochenpläne erstellen und Pläne schmieden kann ich. Alle Eltern unter euch denken jetzt, tzzzz, Alltag mit zwei Kindern verläuft nieeee wie geplant und ja, da habt ihr verdammt recht. Kaum hatte ich das Gefühl, jetzt haben wir den Alltag im Griff, kam die Revanche: Floh im Bett, Norovirus und vier Tage absolutes Chaos. Aber hey, heute ist der erste Tag, an dem alles läuft wie immer und das gilt es zu feiern, so lange, bis es sich wieder ändert.

 

Vier ist ‘ne Party, davon bin ich überzeugt. Manchmal ein bisschen zu wild, manchmal sehnt man sich schon um 11 Uhr morgens nach seinem Feierabendgetränk, aber im Großen und Ganzen eine bunte Mischung aus Seifenblasenpusten, Badeparties und saukomischen Momenten, in denen man sich kaputtlacht über diese kleinen (und großen) Menschen, die um einen herumwuseln.

2 Kommentare

  1. Elli

    Lene, also abgesehen davon, dass ich ja deinen Schreibstil überaus liebe, bin ich begeistert, wie du es schaffst den LeserInnen derart lebendig gut vor Augen zu führen, wie euer Leben gerade so aussieht und was es da für Höhen aber auch Stolpersteine gibt. Man hat das Gefühl schmunzelnder Weise ein Teil von euch zu sein! Danke fürs Teilhaben lassen an eurem Alltag auf so unterschiedlichen Weisen (Telefonat, Blog, Newsletter). Ich hab dich so gern und bewundere deinen Optimismus: deine positive Einstellung vielem gegenüber und dem humorvollen Umgang, wenn mal was nicht nach Plan läuft.

  2. Annette Lörz

    Es war uns ein Fest bei euch sein zu können und die Geräusche eures geöffneten Fensters wecken Erinnerungen an Siesta mit Ella auf dem Bauch! Viva la vida!

Schreibe einen Kommentar zu Elli Antworten abbrechen